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Das Flüssige zwischen uns _Bahzad SULAIMAN_VG Bild-Kunst, Bonn 2023© Lukas Ratius

Review „Das Flüssige zwischen uns“, SAARBRÜCKER-ZEITUNG 2023 (DEUTSCH)

Artikel von KERSTIN KRÄMER, Saarbrüecker-zeitung 2023.

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©Lukas Ratius

SAARBRÜCKEN Vier nackte Menschen, zwei Frauen, zwei Männer, sitzen beziehungsweise liegen auf einer Freifläche. Drumherum hockt, ringförmig angeordnet, das Publikum. Dieses wird wiederum von vier Sängerinnen und zwei Sängern umkreist, flankiert von einer Dirigentin und einem Dirigenten, alle in dunkler Kleidung.

Als den vier Nackten, die mittlerweile begonnen haben, sich in Zeitlupe zu orientieren, ebensolche Kleidungsstücke zugeworfen werden, schleudern sie diese zunächst von sich – als ob sie mit den normativen Hüllen, die sie da überstreifen sollen, nichts anzufangen wüssten. So beginnt, zumindest szenisch, Bahzad Sulaimans interdisziplinäre Opern-Performance „Das Flüssige zwischen uns“, die am Wochenende dreimal im Vortragssaal des Saarlandmuseums aufgeführt und zu Recht gefeiert wurde.

Der elektronisch zugespielte „Soundtrack“ dagegen empfängt einen bereits im Foyer der Modernen Galerie: ein flirrendes Alarmsignal auf einem Ton, nervtötend wie das Sirren einer Heuschrecken-Plage.
Diese kontinuierliche Zumutung von einem „Grundrauschen“ wird, von wenigen klanglichen Verdichtungen abgesehen unverändert, die gesamte Vorstellung begleiten.

Was sich auf dieser Basis aber dank eines hervorragenden Vokalensembles in Sachen Neuer Musik entwickelt, ist schlicht fabelhaft: Rúben Borges’ Komposition für Stimmen ist ein Paradebeispiel dafür, wie intensiv und spannend zeitgenössische Tonsprache sein kann. Und zugleich, in dieser Radikalität, fordernd, sowohl für Ausführende wie Zuschauer – wie auch das gesamte Geschehen nichts ist, was sich gemütlich konsumieren ließe: in seiner Inszenierung (Untertitel: „Das Unsichtbare aber Hörbare. Nahe dran und doch isoliert“) lotet der kurdische Performance-Künstler Bahzad Sulaiman die unsichtbaren Grenzen menschlicher Kontakte aus. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Menschen mit sozialen Ängsten oder einer Autismus-Spektrum-Störung; einem Personenkreis also, der nur unzureichende Filtermechanismen hat, um sich vor Zumutungen von außen zu schützen. Aber auch ohne diese Hintergrundinformation wird deutlich, dass es um soziale Nähe und Distanz geht – eines der Hauptthemen des Wahl-Saarbrückers Sulaiman, der sich in seinen Genre-übergreifenden Arbeiten mit gesellschaftspolitischen Phänomenen auseinandersetzt.


Auch hier untersucht er nun, wie sich Körper als skulpturale Strukturen im Raum zueinander verhalten; die beeinflussenden Parameter sind Klang, Gesang, Sprache und Bewegung. Dafür hat Sulaiman ein beeindruckend hochkarätiges junges Tanz- und Gesangs-Ensemble aus elf verschiedenen Nationen versammelt, darunter etwa einen belgischen Countertenor und gleich mehrere bemerkenswerte Kräfte aus den Reihen der hiesigen Hochschule für Musik (HfM) Saar. Faszinierend, wie sich hier alles miteinander verzahnt und auf die Zuschauer überträgt: Das Kreisen der Sänger baut Druck von außen auf, während die Tänzer dem Publikum oft von innen dicht auf die Pelle rücken.


Parallel verfallen die Vokalisten häufig ins spasmische, roboterhafte Bewegungen oder tragen einander auf Schultern, was wiederum die Mechanismen der Tänzer spiegelt: Vier Menschen mit akrobatischer Körperbeherrschung ringen um ein Gleichgewicht zwischen Isolation und Zugehörigkeit. Sie suchen am Boden nach Erdung oder verdrehen sich merkwürdig in sich selbst; sie ertasten den eigenen Körper und den der anderen, verknoten sich miteinander zu größeren Organismen. Ein einziges Schieben, Ziehen und Stützen, bei gleichzeitiger Abstoßung.

Parallel verlegen sie Klebebänder als Grenzmarkierungen, auf denen sie wiederum vorsichtig balancieren. Leider nicht durchgehend verständlich ist das deutschsprachige Libretto von Johanna Kotlaris, aus dem immer wieder einzelne Sätze und exponierte Laute hervorstechen. Dabei sind die polyphonen Geflechte, die hier in einem breiten Dynamikspektrum an- und abschwellen, vorbildhaft transparent– flächige Vokalisen-Glissandi erinnern an György Ligeti, während kontemplative Phasen an Arvo Pärt denken lassen. Zum Finale hin tönt es weniger abstrakt, Choral-hafter; nun sind vermehrt folkloristische Elemente eingebettet, sogar spektakuläre kehlige Laute, wie man sie aus der tibetischen Kunst des Obertongesangs kennt.

Am Ende sind die vier Menschen zwar bekleidet, aber wieder allein. Dennoch: Sie haben miteinander kommuniziert. Dieser Erfolg drückt sich akustisch in einer friedlichen, geradezu liturgischen Stimmung aus, wie bei einer Passion. Während der unveränderte Alarmton plötzlich weit weniger enervierend scheint. Grandios.